Author(s):
Stroh, Ralf
[English Version] . Das bedrängende Erleben einer sog. P. kann aus prinzipiellen Gründen, welche die Grundlegung der ethischen Theoriebildung betreffen, nur von Konzeptionen eines bestimmten Ethiktyps anerkannt und in der Theorie aufgegriffen werden, während er von der Mehrzahl als eine nur scheinbare Kollision aufgefaßt werden muß. Warum? Antwort: Der Begriff der Pflicht entfaltet den Inbegriff der Aufgaben, die uns unsere Existenz dadurch unabweisbar stellt, daß wir uns in ihr als zum Handeln genötigt erleben und uns der Forderung, handeln zu müssen, nicht entziehen können. Formal pflichtgemäß sind alle Handlungen, welche die Bedingungen der Möglichkeit von Handeln als einem auswählenden Entscheiden zw. mehreren Handlungsoptionen in Rechnung stellen. Zu den Bedingungen der Möglichkeit von Handeln gehört dabei auch das Innesein der Handlungssituation als einer komplexen – u.U. nur frgm. erschlossenen und in ihrem Eigensinn noch nicht vollständig verstandenen – Einheit (traditionell bez. etwa mit den Ausdrücken »Natur« oder »Wesen« der Menschen, »Reich der Freiheit«, »höchstes Gut«, »Schöpfung«). Dieses Innesein bestimmt mit seinem Gehalt den Inhalt der Pflicht. Formal pflichtwidrig und aufgrund ihres selbstwidersprüchlichen Charakters zum Scheitern verurteilt sind alle Versuche, im Handeln die Bedingungen des Handelns – und das heißt nicht zuletzt: die Bedingungen, denen das Innesein unserer komplexen Handlungssituation unterliegt – überspringen zu wollen. Da diese Bedingungen der Möglichkeit allen Handelns nur unter der Voraussetzung solche Bedingungen sein können, daß sie sich nicht selbst gegenseitig aufheben und widersprechen, kann es im Hinblick auf sie selbst keine P. geben (I. Kant). In christl.-theol. Ethikkonzeptionen wird sowohl in röm.-kath. als auch in ev. Entwürfen an dieser Stelle häufig auf den einheitlichen Schöpferwillen als Ablehnungsgrund einer tatsächlichen P. abgehoben. Die Möglichkeit von P. kann in ihrer existentiellen Dringlichkeit nur in solchen ethischen Theorien überhaupt ernsthaft bedacht werden, in denen die Frage nach dem Innesein der Bedingungen der Möglichkeit allen Handelns und somit aller Pflichten so gestellt wird, daß zugleich mit der Geschichtlichkeit und Konkretionsbedürftigkeit dieses Inneseins gerechnet wird. In ethischen Konzeptionen seit Plato, die mit der These eines ungesch. Wissens um die conditio humana operieren, wird das Problem der P. dagegen zu einem Begleitphänomen der bloßen Meinung und der Unwissenheit im Hinblick auf die eigene Handlungssituation, das durch den Rekurs auf das wahre Wissen methodisch und allgemeingültig auflösbar ist. Sollte in einzelnen Fällen dennoch die vollständige Auflösung der P. scheitern, so wird oft behauptet, daß durch die pünktliche Anwendung überkommener Ratschläge (z.B. Wahl der kleineren Sünde, göttliches Gebot geht menschlichem Gebot vor, Gerechtigkeit besitzt den Vorrang gegenüber Güte) doch zumindest sichergestellt sei, ohne sittliche Irritation und mit gutem Gewissen aus der durch Unwissen verursachten P. hervorzugehen. Bei diesem Vorgehen bleibt aber die Frage nach den Gründen offen, warum sich im Hinblick auf die Anerkennung bestimmter Methoden zur Auflösung von P. das Problem scheinbarer oder tatsächlicher Konkurrenzen und Kollisionen nicht wieder stellen soll. Unter den Bedingungen plural verfaßter Gesellschaften wird diese Frage…